Short Summary

  • Die Arbeitswelt wundert sich über die Generation Z, die – im Gegensatz – zu anderen Generationen weniger emotional an ihre Jobs gebunden erscheint und über eine sehr hohe Wechselbereitschaft verfügt.
  • Handelt es sich hierbei um fehlende Arbeitsbereitschaft, mangelndes Durchhaltevermögen oder schlicht um das Schneeflocken-Syndrom, das besagt, dass jüngere Generationen nicht mehr belastbar sind?
  • Vielleicht gibt es aber auch gute Gründe für Gen Z, sich mit bestimmten Job- und Recruiting-Regeln unwohl zu fühlen, denn tatsächlich hat sich an den Hiring-Prozessen seit vielen Jahrzehnten nichts Wesentliches verändert.

Gen Z führt der Welt und älteren Generationen immer wieder vor Augen, dass sie über großes Disruptionspotenzial verfügt. Das ist auch nicht anders, wenn es zu Gen Z und ihrem Verhältnis zu Arbeit und ihrem Arbeitsplatz kommt. So lassen Studien aufhorchen, in denen 54 Prozent der befragten Gen Z Vertreter:innen angeben, sich nicht engagiert zu fühlen. Daraus lässt sich ableiten, dass sie keine oder nur eine geringe Verbindung zu ihren Kollegen, Vorgesetzten oder Arbeitgebern empfinden.

40 Prozent können sich vorstellen, den aktuellen Arbeitgeber innerhalb von zwei Jahren zu verlassen. Etwa ein Drittel davon, ohne eine andere Stelle in Aussicht zu haben. Zahlen, die jeden Unternehmer oder HRler aufhorchen lassen. Was genau steckt dahinter?

Auffällig verändertes Verhalten am Arbeitsmarkt

Die ausgeprägte Ambivalenz hat LinkedIn Gründer CEO Ryan Roslansky bereits 2021 dazu veranlasst, von einer Ära der "Großen Umwälzung (Englisch: "The Great Reshuffle") zu sprechen. Ein Mann, der sich mit Entwicklungen auf dem globalen Arbeitsmarkt bestens auskennt. Roslansky hatte beobachtet, dass die Jobwechsel-Tendenz von Vertreter:innen der Generation Z zwischen 2020 und 2021 um rund 80 Prozent angestiegen ist. Im Vergleich dazu steht die durchschnittliche Jobwechsel-Rate von 54 Prozent auf der Job-Plattform im gleichen Zeitraum.

Lassen wir diese Aussagen auf uns wirken: Gen Z fühlt sich, mehr als andere Bewerber- und Arbeitnehmergruppen ambivalent an Arbeitgeber gebunden. Die jungen Menschen sind  maximal bereit zu wechseln – beziehungsweise sogar gewillt, den Weg der Arbeitslosigkeit zu wählen, bevor sie mit dem aktuellen Arbeitserleben unzufrieden sind.

An alle Arbeitgeber und an HR-Verantwortlichen: Welche Schlüsse zieht ihr aus dieser Tendenz? Was bedeutet das für eure Zusammenarbeit mit der Gen Z, für den Recruitingprozess und das Bewerbungsverfahren? 

Wo bleibt die Evolution?

Mal ehrlich, in Anbetracht der vorliegenden Daten und offensichtlichen Entwicklungen, müsste man meinen, dass die Arbeitswelt schon längst ihre Konsequenzen gezogen, sowie Prozesse und Vorgehensweisen verändert und weiterentwickelt hat, um jungen (und dringend benötigten) Arbeitnehmer:innen entgegenzukommen. Klar kann man argumentieren, dass das vielleicht vermessen ist. Immer wieder hört man Aussagen wie „die müssen sich erst einmal beweisen“ oder „da muss man eben durch“. Die Aufgaben an den Arbeitnehmer anzupassen, in den Augen vieler eine verkehrte Welt. Gleichzeitig genau die Situation, in der wir uns heute befinden: Fachkräftemangel und eine selbstbewusste junge Generation.

Arbeitgeber tun sich in Anbetracht der starken Wechseltendenz ihrer jungen Bewerbenden selbst einen großen Gefallen, indem sie deren Bedürfnisse ernst nehmen und bewusst integrieren.

Eine ernüchternde Bilanz

Ein Blick auf Hiring-Prozesse, Bewerbungsverfahren und Candidate Journeys im Recruiting fällt (leider) eher ernüchternd aus. Was man Arbeitgebern zugutehalten kann? In den letzten Jahren wurde sehr viel Aufwand, Geld und Mühe in moderne Employer Branding Strategien gesteckt. Dabei erhebliches Weiterentwicklungspotenzial in Bezug auf Attraktivität und Awareness realisiert. Auch viele Arbeitgeber-Auftritte sind mittlerweile nahbar, divers, voller Bewerbungs-, Job- und kulturrelevanter Informationen, bieten spannende Events und zielgruppenspezifische Benefits. Was vor ein paar Jahren noch undenkbar war – die 4-Tage-Woche, Sabbaticals, Raum für eigene Aktivitäten, Workations sowie eine flexible Worksetting-Wahl – ist in das normale Employer Branding-Vokabular übergegangen.

Schaut man sich aber die eigentliche Reise, die „Candidate Journey", von der Stellenausschreibung bis zum Jobantritt genauer an – und zwar aus Sicht einer Gen Z Vertreter:in – fallen drei Dinge besonders auf:

1. Die Candidate Journey – seit Jahrzehnten im Stillstand

Relevante Meilensteine eines jeden Bewerbungsprozesses umfassen das Wahrnehmen einer Stellenanzeige, das Versenden oder Uploaden einer Bewerbungsunterlage, ein, zwei, drei Job-Interviews, inklusive Vertragsverhandlung. Im besten Fall dann eine Job-Zusage, das Pre-Onboarding (die Phase von Zusage bis zum Eintritt) und das Onboarding (der Willkommens-, Ankommens- und Einarbeitungsprozess). Je nach Verlauf kann die Journey nach jedem Meilenstein enden. Gründe kennt wahrscheinlich jeder von uns: Nichtübereinstimmung mit den fachlichen und persönlichen Anforderungen, überzeugendere Mit-Bewerber oder ein Missmatch in Bezug auf Gehalt und Rahmenbedingungen. Unabhängig von innovativen Arbeitgeberinitiativen hat sich der hier beschriebene Ablauf seit Jahrzehnten kaum verändert. Wer das nicht ganz glauben mag, dem empfiehlt sich eine Analyse von 10 bis 15 Candidate Journeys von verschiedenen Arbeitgebern. Wer hierbei einen anderen Ablauf erlebt, sollte uns bitte unbedingt davon erzählen.

2. Mentale Modelle des Hiring-Prozesses basieren auf Ranking, Vergleich und Ausschluss

Eine Einladung, die man sehr selten auf Employer Branding-Seiten findet, ist die zur „Initiativbewerbung". Der Grund dafür ist in den meisten Fällen der interne Aufwand. Initiativbewerbungen fordern Arbeitgeber auf, umfangreicher prüfen und mit allen infrage kommenden Positionen matchen zu müssen. Im Vergleich zu einer gezielten Bewerbung kostet es Zeit und verlangt mehr Flexibilität. „Klassische“ Bewerbungen durchlaufen einen Abgleich-Mechanismus (früher analog, heute in der Regel digital), was bedeutet, dass jede Bewerbung für eine Stellenausschreibung einem Vergleich unterliegt:

  • Vergleich 1: Passen die Fähigkeiten und Erfahrungen zu den Anforderungen, die das Unternehmen vorher festgelegt hat? 
  • Vergleich 2: Wer von den Bewerber:innen weist die höchste Übereinstimmung mit den geforderten Anforderungen auf, wer die niedrigste?

Bewerben hat also in erster Linie etwas mit Prüfen, Ranking und Vergleich zu tun und damit zwangsläufig mit Ausschluss. Führt man sich dieses Filterverfahren genauer vor Augen, merkt man schnell, dass dieses pragmatische Vorgehen lange Sinn ergeben hat, auf einem Arbeitnehmer-Markt aber nicht mehr funktionieren kann.

3. Trotz Digitalisierung und KI: Die Tiefenstruktur der Candidate Journey bleibt unverändert

Längst laufen die oben genannten Prozesse digital ab. Intelligente Matchingmechanismen durchleuchten Lebensläufe nach der Eingabe im Bewerbungsportal nach Passung und Kompetenz. Die Auswahl wird HR-Entscheider:innen in einer Ranking-Liste angezeigt. In Job-Interviews können unter anderem KI-gestützte Sprachanalysen zum Einsatz kommen und verschiedene einstellungsrelevante Kriterien scannen. Beispiele dafür sind individuelle und kommunikative Kompetenzen sowie Persönlichkeitsmerkmale. Insgesamt verspricht der Einsatz von KI und Digitalisierung im Hiring-Prozess ein schnelleres Matching, effektivere Prozesse und eine verbesserte Experience für beide Seiten. 

Spannend ist aber, dass der Einsatz digitaler Möglichkeiten weder den klassischen Recruiting-Prozess an sich (siehe 1), noch die dazugehörigen mentalen Modelle (2), die auf Ranking und Ausschluss basieren, verändert oder verbessert hat.

Ist die Ambivalenz von Gen Z in Bezug auf Hiring-Prozesse und Jobs vielleicht gerechtfertigt?

Zu Beginn des Artikels haben wir die Frage gestellt, ob die Work-bezogene Ambivalenz von Gen Z ein Ausdruck von fehlender Belastungsfähigkeit ist oder doch eher ein Indikator für eine tieferliegende Unzufriedenheit darstellt. Bei näherer Betrachtung spricht einiges dafür, dass sich speziell junge Bewerbende mit den aktuell gängigen Hiring-Prozessen nicht hundertprozentig wohlfühlen. Daran haben auch digitale Anwendungen und KI-Helfersysteme nicht viel verändert. Die Unzufriedenheit kommt durch eine hohe Job-Wechselbereitschaft der Gen Z sowie durch deren unsichere Bindung an Arbeitgeber zum Ausdruck.

Fazit

Trotz sehr guter Entwicklungen im Young Employer Branding hat sich am Wesen von Personalauswahl und -einstellung – also an der eigentlichen Candidate Journey – kaum etwas geändert. Die Candidate Journey ist der Moment, (wenn man so möchte, der „Moment der Wahrheit"), wo ein/e Early Career Kandidat:in erlebt, ob die eigenen Vorstellungen mit denen des zukünftigen Arbeitspartners zusammenpassen. 

Es kommt also darauf an, die mentalen Modelle, die den heutigen Recruiting-Prozessen zugrunde liegen und die auf Ranking, Vergleich und Ausschluss basieren, unter die Lupe zu nehmen. Diese Modelle sollten mit den Werten und Bedürfnissen jüngerer Bewerber-Zielguppen abgeglichen und vor allem mit dem Bewusstsein für die veränderte Situation am Arbeitnehmermarkt angegangen werden.